Was ist eigentlich Krankheitsangst?

„Du spinnst doch. Ständig bildest du dir irgendwelche Krankheiten ein. Du bist ein richtiger Hypochonder!“. Nicht selten erfahren Menschen, die unter Krankheitsängsten leiden, einen solchen Satz. Wie dieses Beispiel gut erkennen lässt, ist der Begriff der Hypochondrie in unserer Gesellschaft eher negativ behaftet. Die Betroffenen bekommen somit das Gefühl, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden.

 

Was ist überhaupt Krankheitsangst oder Hypochondrie?

Eine Bezeichnung, die wesentlich weniger negativ konnotiert ist und die somatoforme Störung auf den Punkt bringt, ist „Krankheitsangst“ (engl.: Illness Anxiety Disorder). Dabei versteht sich die Krankheitsangst als ein Kontinuum, auf dem sich Menschen zwischen dem Nicht-Vorhandensein von Angst vor Erkrankungen bis hin zur extremen Furcht, an tödlichen Krankheiten zu leiden, bewegen. Eine starke Ausprägung der Krankheitsangst, die länger als 6 Monate besteht und aus medizinischer Sicht unbegründet ist, lässt sich als Hypochondrie diagnostizieren, an der schätzungsweise 1% der Bevölkerung leidet. Allerdings ist die Dunkelziffer wahrscheinlich höher. Betroffene sind überzeugt, dass ihre körperlichen Empfindungen (z.B. Kopfschmerzen) ein Anzeichen für ernsthafte Erkrankungen (z.B. Gehirntumor) sind.

 

 

Dass so gut wie jeder Mensch im Laufe seines Lebens hin und wieder Angst um seine Gesundheit empfindet, ist selbstverständlich. Immerhin ist das Leben unser höchstes Gut. Viele Menschen bemerken mit der Zeit Symptome, die sie schwer deuten können. Entweder sie verschwinden von selbst wieder oder man sucht medizinisches Fachpersonal auf, um eine mögliche Erkrankung auszuschließen. Und auch dabei kann es immer wieder zu längerem Grübeln und kurzzeitiger Angst kommen. Die meisten Menschen können diese Furcht allerdings nach einiger Zeit wieder ausblenden.

 

 

Nicht so Betroffene von Hypochondrie oder Krankheitsangst. Nehmen sie körperliche Vorgänge wahr, kommt es zu Fehlinterpretationen und schließlich dazu, dass ein eigentlich gesunder Körper als schwerkrank wahrgenommen wird. Aus medizinischer Sicht sind diese Sorgen oft nicht gerechtfertigt: auch nach ärztlichen Untersuchungen zeigt sich, dass es keinen pathologischen Befund gibt, der darauf hindeutet, dass der Patient bzw. die Patientin tatsächlich an der vermuteten Krankheit leidet. Häufig kommt es zu wiederholten Arztbesuchen. Selbst, wenn Ärzt*innen versichern, dass keine körperlichen Auffälligkeiten oder Anzeichen für schwerwiegende Erkrankungen festgestellt wurden, hält die Erleichterung der Patient*innen nicht sehr lange an. „Vielleicht hat der Arzt etwas übersehen? Ich spüre doch eindeutig die Symptome!“. Nicht selten suchen die Betroffenen anschließend weitere Ärzt*innen auf.

 

 

Aber nicht alle Menschen mit Krankheitsängsten nehmen ärztliche Untersuchungen wahr. Es können auch Vermeidungstendenzen entstehen. Damit möchten die Betroffenen umgehen, dass Ärzt*innen die vermutete Diagnose bestätigen könnten.

 

 

Außerdem wird bezüglich der Art der vermuteten Krankheit zwischen den Betroffenen differenziert. Es gibt Menschen, die befürchten, an einer spezifischen Erkrankung zu leiden (z.B. Aids). Wiederum andere haben weniger spezifische Vorstellungen – es werden, je nach Symptomen, verschiedene potentielle Krankheiten in Erwägung gezogen (z.B. Kopfschmerzen → Gehirntumor, Herzrasen → Herz-Kreislauf-Erkrankung).

 

 Auch die Folgen, die aus Krankheitsängsten resultieren, unterscheiden sich enorm. Während manch eine*r häufigere Angst und daraus resultierenden Stress verspürt, dadurch im Alltag aber nur geringfügig eingeschränkt ist, entstehen bei anderen Betroffenen enorme Einschränungen des Alltags – beispielsweise kommt es durch die Vermeidung bestimmter Orte und sozialer Kontakte zur zunehmenden Isolation. Nicht selten treten aktue Panikattacken auf, die durch Herzrasen, Schwindel und Atemnot die bereits bestehende Angst noch weiter verschlimmern.

 

 

Krankheitsangst bzw. Hypochondrie umfasst also ein breites Spektrum. Menschen unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich der Intensität, der Art und der darauffolgenden Konsequenzen. Eine Gemeinsamkeit lässt sich jedoch immer wieder feststellen: die Betroffenen nehmen körperliche Empfindungen wahr, auf die sie ihren Fokus richten. Es entsteht ein Teufelskreis:

Ich empfinde einen körperlichen Vorgang (z.B. ein Ziehen im Unterleib). Meine ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf diese Wahrnehmung (Was war denn das? Wieso war da gerade dieses Ziehen? Könnte das ein Anzeichen sein, dass etwas in meinem Körper nicht stimmt?). Es entsteht Angst und Stress. Durch den Stress kommt es zu normalen körperlichen Stressreaktionen (z.B. erhöhter Herzschlag, Beschleunigung der Atmung, vermehrte Schweißproduktion) – der Körper ist im Kampf-oder-Flucht-Modus. Diese Körperwahrnehmungen rücken wiederum in den Fokus und werden fehlinterpretiert.

Wieso entstehen Krankheitsängste überhaupt?

Die Gründe, warum Menschen Krankheitsängste entwickeln, sind vielfältig. Mögliche Gründe werden im Folgenden kurz aufgeführt:

 

  • Schwere Erkrankungen von nahestehenden Personen

 

  • Verlust eines geliebten Menschen

 

  • Kritische Lebensereignisse

 

  • Genetische Prädispositionen

 

  • Chronischer Stress

 

  • Starkes Verlangen nach Kontrolle und Sicherheit

 

  • Schlechte Erfahrungen mit Mediziner*innen (Vertrauensverlust)

 

  • Generell erhöhte Ängstlichkeit

 

  • Medienkonsum (Cyberchondrie)

 

Was kann ich tun, wenn Krankheitsängste auftreten?

Grundsätzlich wird eine Psychotherapie (z.B. kognitive Verhaltenstherapie) bei Krankheitsängsten empfohlen. 

 

Sollte eine akute Angstsituation oder gar eine Panikattacke auftreten, ist die richtige Atemtechnik ausschlaggebend. Dabei ist es wichtig, die Atmung zu verlangsamen und den Fokus vor allem auf eine lange Ausatmung zu legen. Legen Sie Ihre Hand auf den Bauch und atmen Sie tief durch die Nase ein. Spüren Sie dabei, wie sich ihre Lungen mit Luft füllen. Anschließend atmen Sie langsam durch den Mund wieder aus. Achten Sie dabei darauf, ihren Mund nur geringfügig zu öffnen, um die ausströmende Luft zu verlangsamen. Wiederholen Sie dies, bis Sie merken, dass Ihr Herzschlag sich wieder normalisiert. 

 

Es haben sich außerdem gängige Methoden als hilfreich erwiesen, die sich leicht in den Alltag integrieren lassen. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt:

 

Achtsamkeitsübungen

Achtsamkeitsübungen haben sich bei verschiedensten Angststörungen bewährt. Der Fokus liegt dabei auf dem Hier und Jetzt. Visuelle, auditive, olfaktorische, gustatorische und sensorische Empfindungen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen) werden aktiv wahrgenommen, ohne, dass man diese dabei bewertet. Hypochdondrische und krankheitsängstliche Menschen neigen dazu, ihre Körperwahrnehmungen sofort zu bewerten und interpretieren. Mithilfe von Achtsamkeitsübungen wird erlernt, diese Empfindungen nicht sofort zu deuten. Der Fokus liegt bei diesen Übungen auf der Wahrnehmung und Akzeptanz dieser Empfindungen.

Verschiedene Achtsamkeitübungen finden Sie hier.  

 

Entspannungsverfahren.

Da es bei körperlichen Wahrnehmungen zu Angst und Stress und somit auch zur Anspannung kommt, können Entspannungsverfahren helfen. Es existiert ein breites Spektrum von Methoden zur Entspannung bzw. Stressreduktion – von der Progressiven Muskelentspannung (PME) bis hin zu Yoga. Es ist empfehlenswert, sich über die verschiedenen Verfahren zu informieren, um herauszufinden, welches man als für sich passend empfindet. 

 

Schriftliche Dokumentation.

Schriftliche Dokumentationen – beispielsweise in Form von Tagebuchinterventionen – können hilfreich sein, um eigene Muster zu erkennen und sich über diese bewusst zu werden. Dabei wird dokumentiert, wann die körperlichen Empfindungen und damit verbunden Ängste auftreten, wie stark diese Empfindungen und Ängste sind, welche möglichen weiteren Auslöser für die körperlichen Empfindungen verantwortlich sein könnten, usw. Hier finden Sie Arbeitsblätter mit Anleitungen. 

 

Bewegung und Sport

Wenn wir akute Angst und Stress empfinden, aktiviert unser Körper den Kampf-oder-Flucht-Modus. Dabei kommt es zu verschieden körperlichen Prozessen, die es uns ermöglichen, so schnell wie möglich zu reagieren – wie der Name schon sagt: kämpfen oder fliehen. Um die dabei vermehrt produzierten Hormone (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) wieder abzubauen, müssen wir aktiv werden. Das geschieht am einfachsten über Bewegung und Sport. Für Sportmuffel sei zu erwähnen: bereits ein zügiger Spaziergang kann helfen.

Noelle-Julie Brand
Author: Noelle-Julie Brand

Psychologie (B.Sc.)

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